Gizeh war gestern
Der kleine Dessau-Roßlauer Stadtteil Streetz staunte Bauklötzer. Eben noch am Rande der medialen Wahrnehmung,
ritten Anfang September Heerscharen von Journalisten in die dörfliche Idylle ein. Grund: Eine Pyramide. Die größte
der Welt – Könnte sie werden, müsste sie aber nicht. Und in Streetz könnte sie stehen, müsste sie aber nicht. Während
die Idee gute und neue Ansätze bietet, hatten die meisten Bürger wohl nur Angst davor, dass ab übermorgen der größte
Grabstein der Welt in ihrem Vorgarten steht. Über die wirklichen Hintergründe des Projektes haben wir mit Jens Thiel
(Foto), einer der Ideengeber, gesprochen.
Wie ist das
Projekt entstanden?
Thiel: Die Idee der
Großen Pyramide
entstand vor zwei
Jahren, zunächst
war es ein konzeptionelles Gedankenspiel des Schriftstellers
Ingo Niermann und von mir.
Vergangenes Jahr erschien in Ingos Buch „Umbauland“ dann
ein kurzer Essay, der die Grundidee darstellt. Nachdem wir
eine kleinere Förderung der Kulturstiftung des Bundes erhalten
hatten, die Idee zunächst als Möglichkeit vorzustellen,
neue Arbeitsplätze im Osten Deutschlands zu schaffen, setzt
sich nun ein Förderverein für das Projekt ein. Das ist ähnlich
wie beim Berliner Stadtschloss, das ja nun wohl wiederaufgebaut
wird.
Warum ausgerechnet eine Pyramide?
Thiel: Eine Pyramide, weil es die einfachste mögliche
Bauform ist, die auch noch mit jedem Stein von innen nach
aussen wachsen kann. Das tolle an der Form ist: Es sieht
immer aus wie eine Pyramide, egal wie groß der Bau ist.
Die Große Pyramide funktioniert nicht wie ein Hochhaus,
das man in zwei Jahren hochzieht, sondern ist ein in der
Zeit und in der Größe potentiell unbegrenztes Bauwerk. Mit
jeder anderen Form wäre das nicht möglich. Dazu kommt:
Überall auf der Welt ist die Form als erfolgreiche Grabund
Erinnerungsstätte bekannt – da muss man nicht erst
umständlich erklären, worum es geht.
Welches Ziel steht am Ende des Pyramiden-
Projektes?
thiel: Es gibt keine Zielgröße, die Große Pyramide soll
einfach wachsen – gerne natürlich schnell und hoch.
Letztlich geht es um Frieden: Jeder macht sich irgendwann
einmal Gedanken über das Ende seines Lebens. Zu
wissen, dass man dann ein kleiner Stein in der Pyramide
sein und ewig dort bleiben könnte und nicht für 20 Jahre
auf einem Friedhof verscharrt und dann ausgebuddelt
und weggeworfen, ist für viele beruhigend und nimmt
einiges an Angst und Unsicherheit. Mit der Online-Plattform,
die für die Große Pyramide entstehen soll, kann
auch jeder über die Informationen verfügen, die von
ihm bleiben sollen. Das ist besser als die paar Daten auf
einem Grabstein. Am Ende soll ein stolzes, sich stetig
wandelndes Pixelgemälde der Menschheit stehen. Alle
gleich, alle tot, aber alle wichtig, denn die aktuellen
Menschen stehen immer auf den Schultern der vergangenen.
Es geht auch um Respekt.
Wie ernst nimmt die Öffentlichkeit das Projekt?
Und wie ernst sollte sie es nehmen?
Thiel: Zeitungen aus aller Welt berichten, mehr als
350 Menschen aus über 25 Ländern haben auf unserer
Website einen Stein reserviert, wir bekommen Anrufe
von Bürgermeistern, die das Projekt in ihre Kommune
holen wollen. Die Pyramide wird ernst genommen – sie
ist auch ernst gemeint.
Waren die Reaktionen in Streetz und seitens der
Stadtverwaltung kalkuliert?
Thiel: Das müssen Sie die Streetzer und die Stadtverwaltung
fragen.
Was denken Sie, ist der eigentliche Stein des
Anstoßes?
Thiel: Tod ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Tabuthema,
auch wenn sich das langsam wieder ändert. Noch
vor 200 Jahren war er ein selbstverständlicher Teil des
Lebens, die Angst davor gab es so nicht. Die Pyramide
könnte helfen, ruhiger zu schlafen, auch wenn man weiß,
für uns alle wird es einmal zu Ende sein. Niemand wird
alleine sein.
Wie begegnen Sie dem Vorwurf, die Streetzer mit
ihrem Projekt vorgeführt zu haben?
Thiel: Der Vorwurf wurde nur einmal vom örtlichen
Pfarrer erhoben – der dann aber ganz schnell einen
Rückzieher machen musste. Vorgeführt wird niemand.
Die vielen Medien, die berichtet haben, gaben den
Streetzern eine ernsthafte Stimme.
Haben die entstandenen und sicher nicht überraschenden
Spannungen in der vollkommen überrollten
Provinz eine inhaltliche Auseinandersetzung
nicht gänzlich torpediert?
Thiel: So provinziell ist Dessau-Roßlau ja gar nicht. Aber
klar, die inhaltliche Auseinandersetzung wird schwierig,
wenn Angst ins Spiel kommt. Aber auch viele Kritiker
sind rasch zu dem Punkt gekommen, dass sie die Idee
der Großen Pyramide eigentlich gut finden. Nur vielleicht
nicht unbedingt vor ihrer Haustür.
Ist das Projekt in Streetz damit begraben? Gibt es
tatsächlich eine Zukunft für die Große Pyramide?
Thiel: Wir lassen die Streetzer nach dem großartigen
Pyramidenfest jetzt erst einmal in Ruhe, sie haben genug
tolle Sachen erlebt. Spätestens Anfang Dezember werden
die städtebaulichen Ideen internationaler Stararchitekten
vorliegen, wenn unser Architekturwettbewerb abgeschlossen
ist. Dann wird das Stochern im Nebel aufhören,
und wir können konkreter sprechen. Auch die Streetzer
werden dann verstehen, dass die Große Pyramide nicht
direkt in ihren Vorgärten stände. Anhalt-Dessau liegt uns
aus verschiedenen Gründen schon sehr am Herzen – aber
am Ende braucht die Region die Große Pyramide mehr als
umgekehrt. Sie kann letztenendes auch in Philadelphia
oder Shanghai gebaut werden.
Welche persönliche Lektion nehmen Sie aus
Streetz mit?
Thiel: Ganz sicher: Erst viel mehr über die Idee des ersten
friedensstiftenden „Denkmals für uns alle“ sprechen –
und nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, dass man sie
an einem bestimmten Ort bauen könnte.
Welche Rückschlüsse für ähnlich ungewöhnliche
Projekte lassen sich daraus ziehen?
Thiel: Die Jacke, die man sich anzieht, darf nicht zu groß
sein. Wenn man etwas wie die Große Pyramide tatsächlich
erfolgreich machen will, reichen Mut und eine gute
Idee nicht aus – man muss schon einiges an Erfahrungen
mitbringen und sehr gute Leute in das Projekt hineinbringen.
Das wussten wir zum Glück schon vorher, sonst
wären wir schon lange gescheitert. |>
Stellungnahme der Stadt Dessau-Roßlau
Eine Bauvoranfrage zum Bau der „Pyramide“ lag der
Stadtverwaltung zu keinem Zeitpunkt vor. Es gab aber
Gespräche mit den Initiatoren des Vereins, in denen
über Motive und Zielstellung des Projektes informiert
worden war.
Von einem ideellen Punkt aus betrachtet, sind dem
Projekt durchaus interessante Seiten abzugewinnen.
Schon deshalb, weil sie sich diametral unterschiedlich
zur hiesigen Begräbniskultur verhalten. Einer
Realisierung im Stadtgebiet von Dessau-Roßlau stehen
indes verschiedene Gründe entgegen.
Zum einen widerspricht das Vorhaben gültigen
Rechtsnormen (Bestattungsgesetz), ist also in der
vorgesehenen Form hierzulande nicht umsetzbar. Zum
anderen unterliegt unsere Stadt bzw. Region als Hort
dreier Welterbestätten (Gartenreich Dessau-Wörlitz,
Bauhaus, Biosphärenreservat) besonderen Ansprüchen
und Verpflichtungen, deren Bestand durch ein derart
dominantes Bauwerk gefährdet würde.
Hinzu kommt das ästhetische Empfinden unserer
Bürgerinnen und Bürger, die sich durch den Bau in ihrer
Lebensqualität beeinträchtigt gefühlt hätten – siehe den
Beschluss des Ortschaftsrates Streetz/Natho.
Alles in allem ist ein solches Vorhaben in unseren
Breiten sicher schwer vorstellbar. Nichtsdestotrotz
haben die aufflammende Diskussion als auch das bundesweite
Medieninteresse auch ihre positiven Seiten
gehabt. |>
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LEO-Das Anhalt Magazin bleibt dran am Pyramidenbau
und versucht noch in diesem Jahr eine Diskussionsrunde
zu organisieren.
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