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Las Vegas des Todes

Eine “Todespyramide” könnte bald das Dörfchen Streetz überschatten

Für das kleine Dorf Streetz bei Dessau planen der Schriftsteller Ingo Niermann und der Wirtschaftswissenschaftler Jens Thiel das größte Bauwerk der Welt: eine 578 Meter hohe Pyramide, die man auch vom All aus sehen kann. In dieser Pyramide sollen fünf Millionen Tote ihre letzte Ruhe finden – ganz so wie bei den alten Ägyptern. Der globale Friedhof – was wahnwitzig klingt – steht schon kurz vor der Umsetzung. Doch das Dörfchen Streetz will von all dem nichts wissen.

Jens Thiel und sein Freund Ingo Niermann haben eine Vision für Deutschland. “Es ist natürlich bei Leuten die Assoziation aufgetaucht – mmhh – Massengräber gab es ja schon einmal in Deutschland, das war ja nicht so nett”, so Niermann. Für ihn sei das allerdings eher ein Grund zu sagen, “dann erst recht”.

Die Idee macht Schlagzeilen. Die Pyramide soll höher werden als die von Gizeh, darunter machen sie es nicht. Von der “Financial Times” bis hin zur Postille der Beerdigungsunternehmer – alle schreiben über den neuen Ort der ewigen Ruhe. Schließlich soll es ein Friedhof höher als das Empire-State-Building werden – und das mitten in der ostdeutschen Provinz. Jens Thiel glaubt: “Es brächte der Region, in der die Pyramide gebaut würde, eine ganze Menge. Es gibt das schöne Wort vom Bilbao-Effekt, was diese nordspanische Industriestadt, grau, unbeliebt, keiner wollte da hin, erreicht hat mit dem Guggenheim-Museum von Frank O. Gehry. Und etwas Ähnliches würde sicher mit der Pyramide passieren.”

Streetz, ein Dorf in Sachsen-Anhalt, mit 353 Einwohnern, ist weit weg von Bilbao. Der Bürgermeister und sein Stellvertreter warten im strömenden Regen auf dem Feld, wo die Grabpyramide gebaut werden soll. Ralf Pakendorf, der stellvertretende Bürgermeister von Streetz, hat seine eigene Meinung zu dem Projekt: “Wenn man Richtung Dorf guckt und sich vorstellt, dass ein Haus im Durchschnitt eine Höhe von höchstens zehn Metern hat und die Pyramide 500 Meter hoch sein soll, dann kann sich jeder ein Bild davon machen, was wir dann sind – nichts mehr.”

Tote aus allen Teilen der Welt vereint 
Die Dörfler muss Jens Thiel noch überzeugen. 100.000 Mal wurde die Seite der Pyramidenfreunde bereits im Internet angeklickt. Die Asche der Verblichenen soll in Betonblöcke eingegossen werden. Begraben lassen kann sich jeder – weltweit. Schnell könnte die “Todespyramide” so Stein auf Stein in den Himmel wachsen. Mehr als 400 Menschen haben sich bereits online einen Platz reserviert. Jens Thiel glaubt zu wissen, warum: “Ein traditioneller Friedhof ist nicht mehr nur national, der ist regional, der ist lokal. Jede Stadt, jedes Dorf, jede Kirche hat ihren Friedhof und das ist das Neue an der großen Pyramide, dass jetzt zum ersten Mal die Chance ist, dass Menschen wenigstens im Tode aus allen Teilen der Welt zusammenkommen.”

Zunächst einmal kommen die Städter mit denen vom Land zusammen. In der Dorfkneipe werben sie bei Kaffee und Sahnetorte für ihre große Idee, doch die Streetzer bleiben skeptisch. “Wenn es wirklich einmal so sein sollte, dann würden wir nicht mehr auf dieser Ebene sitzen”, so Ralf Pakendorf, stellvertretender Bürgermeister von Streetz. “Die Pyramide wird dann einmal so schwer werden, dass es die Pyramide nach unten drückt und unser Ort hochkommt.” All die Zweifel soll ein großes Pyramidenfest im Sommer zerstreuen. Der örtliche Fanfarenzug tritt auf, bläst “The Final Countdown”. Dazu werden erste Steinprototypen präsentiert. Kinder dürfen schon einmal Gedenkquader bemalen. Am Rande stehen die Gegner. Sie haben bereits Unterschriften gegen das Millionengrab gesammelt.

“Um die Pyramide herum braucht man ganz viel”, versucht Ingo Niermann zu beschwichtigen. “Es muss Trauerhallen geben. Es muss Hotels geben für all die Besucher – Restaurant, Gastronomie. Ja, man kann sich vorstellen, dass bestimmte Kirchen dort etwas hinbauen.” Doch Klaus Gründheidt, Bürgermeister von Streetz, hat Angst , dass sein Ort dann “nur noch durch den Tod” bestimmt werde. “Alles spielt sich dann nur noch um Beerdigungen ab. Wir sind dann gleich die Friedhofsverwaltung.”

Namhafte Architekten im Wettbewerb 
Alles begann als nicht ganz ernst gemeintes Gedankenspiel. Tote retten die deutsche Wirtschaft. Das war eine von zehn Visionen in Ingo Niermanns Buch “Umbauland”. Darin fordert er eine Atombombe für Deutschland, Ackerland für jedermann. Nun gibt es sogar einen Architekturwettbewerb. Juryvorsitzender ist niemand Geringeres als der Niederländer Rem Koolhaas. Auch die teilnehmenden Architekten gehören zu den bekannten ihrer Zunft – wie der chinesische documenta-Teilnehmer Ai Wei Wei. “Die Architekten fanden es alle toll. Wir haben sie gefragt und sie haben zugesagt”, so Niermann. “Ich glaube, wir werden erst erfahren, was die daran so toll fanden, wenn wir die Entwürfe sehen. Was sie auch wirklich fasziniert, ist die Idee, dass wirklich so etwas wie eine ganze Stadt um die Pyramide herum entstehen kann. Nikolas Hirsch, das ist einer der Architekten, meinte, eigentlich geht es um so etwas wie ein Las Vegas des Todes.”

Nur ein paar Kilometer vom Pyramidendorf entfernt, wurde schon einmal Architekturgeschichte geschrieben: Omar Akbar, Direktor der Stiftung Bauhaus, ist ebenfalls Jurymitglied. Ende November 2007 erwartet er die ersten Pyramidenentwürfe. “Sie bauen Museen, sie bauen Malls, sie bauen große Architektur für jetzt, für kommerzielle Aktivitäten, für kulturelle Aktivitäten und so weiter und so weiter”, sagt er. “Und auf einmal taucht dieses Thema auf, das eigentlich ein Teil von uns ist.” Er selbst sei sehr glücklich gewesen, dass sich Rem Koohlhaas, “der eigentlich vor geraumer Zeit einmal gesagt hat, keine Wettbewerbe mehr zum machen”, auf einmal zusagte. “Das heißt, dass das heute ein Thema ist und möglicherweise Folgen haben wird.”

Für Ralf Pakendorf, den stellvertretenden Bürgermeister von Streetz, sieht die Zukunft allerdings alles andere als rosig aus. “Das wäre dann am Ende nur der Anfang. Wenn man einmal überlegt, in 100 Jahren, wie viele Menschen sterben dann? Wie viel Einwohner haben wir in Deutschland? 80 Millionen? Wenn da in Deutschland solche Menschen verschachtelt werden sollen, kann man sich vorstellen, wie viele Pyramiden da in kürzester Zeit entstehen könnten.”

Deutschland – einig Land der Pyramiden. Ingo Niermann und Jens Thiel wäre es nur recht. Die Menschen würden so ein anderes Verhältnis zu ihrem Ende bekommen. Und die Beerdigung zum Happening werden.

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[1] http://www.3sat.de/kulturzeit/kuz_titel.html (Kulturzeit: montags bis freitags, um 19.20 Uhr)
[2] http://www.thegreatpyramid.org (Die große Pyramide – Ein Denkmal für uns alle)
[3] http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/111013/index.html (Asche zu Asche… – K[…]nen steigenden Zulauf)
[4] http://www.3sat.de/kulturzeit/tips/100850/index.html (Wie gehen wir mit unse[…]er später” fragen nach)
[5] http://www.3sat.de/kulturzeit/specials/82947/index.html (Die Freiheit zum Tode[…]rzeit-Reihe: Freiheit)
[6] http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/48537/index.html (Umsonst ist nur der To[…] Ökonomisierung (2003))
[7] http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/95760/index.html (Schrein für die Nomade[…]rsgläubige innere Ruhe)
[8] http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/111729/index.html (Eine echte Herzenssac[…] der Eifel überredete)
[9] http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/102364/index.html (Knoten im Tempo der Z[…]uchen wir Gedenktage?)
[10] http://www.3sat.de/kulturzeit/tips/92772/index.html (Die ungeliebten Toten -[…]che Versöhnung belasten)
[11] http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/86500/index.html (Die vergessenen Opfer […]he heimlich hinrichten)
[12] http://www.3sat.de/kulturzeit/tips/69091/index.html (Der Geist des Sees – Ei[…]ekt auf der Isola Bella)
[13] http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/108332/index.html (1001 Chinese für Kass[…]nst auf die documenta)
[14] http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/81010/index.html (Guggenheim global? – T[…]rs des Kunst-Imperiums)
[15] http://www.3sat.de/kulturzeit/tips/80154/index.html (Stahlkolosse in Bilbao […]monumentalen Skulpturen)

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