Zehn Schritte zum Großauftrag
Text: Doris Kleilein
Ein junger Mann hat den Einfall, in Deutschland die größte Pyramide der Welt zu bauen. Darin begraben:
die Menschheit. Verwirrt? Größenwahnsinnig? Von der Medienkompetenz Ingo Niermanns könnte so manches
Architekturbüro lernen und müsste dann für Großaufträge nicht mehr nach Dubai schielen.
betrifft Pyramide
Bauwelt 14 | 2008 7
1 Ein Manifest schreiben
„Denk ich an Deutschland in der Nacht…“ – pünktlich zum
150. Heine-Todesjahr begann der bislang kaum in Erscheinung
getretene Autor Ingo Niermann, Jahrgang 1969, sich Sorgen
um Deutschland zu machen, „das seinen Weg in die neue
globale Welt nur schwerfällig findet“. Die zehn Vorschläge, die
2006 in einem schmalen roten Bändchen („Umbauland“) im
Suhrkamp-Verlag erschienen, sind ein umfassender Versuch,
Deutschland zu retten: mittels atomarer Bewaffnung, einer erneuten
Teilung, Häkeln und Stricken, der Einführung einer
vereinfachten Gaga-Grammatik (Rededeutsch) – und dem Bau
eines Deutschen Weltwunders. „Mit spektakulären Bauvorhaben
in Dubai oder Las Vegas, dem Guggenheim-Museum in
Bilbao oder Eurodisney in Paris hat ein harter Kampf um konsumfreudige
Kurzzeittouristen begonnen. Bis Deutschland an
diesem Wettbewerb teilnimmt, ist es vielleicht schon zu spät.
Eine Pyramide könnte Abhilfe schaffen.“
Die Eckdaten: Betonblock für Betonblock (Maße 90 x 90 x 60
Zentimeter inkl. Asche-Inlay) wird eine Pyramide aufgebaut,
die die Asche aller heute lebenden Menschen aufnehmen kann
(in der Ganzkörpervariante wären es 1000 Meter Höhe und
1400 Kilometer Breite).
2 Einen Verein gründen
Die größte Pyramide der Welt (Cheops ist ein Fingerhut daneben)
– zu groß, zu gemeinnützig für einen einzigen Mann. Es
setzt ein urdeutscher Reflex ein: die Vereinsgründung. Anfang
2007 gründet Niermann den Verein „Freunde der Großen Pyramide
e.V.“. Mitglieder sind unter anderem der Unternehmensberater
Jens Thiel aus Erfurt und der Bauingenieur Heiko
Holzberger aus Weimar. Damit der Nachwelt dieses und die
folgenden Ereignisse nicht verloren gehen, wird das Projekt
von der ersten Vereinssitzung an von der Dokumentarfilmerin
Frauke Finsterwalder begleitet.
3 Einen Antrag bei der Bundeskulturstiftung stellen
Für die Anschubfinanzierung sorgt die Bundeskulturstiftung
in Halle. Sie fördert die „erste Realisierungsphase“ der Pyramide
im Rahmen des Programms „Arbeit in Zukunft“ mit
89.000 Euro. Ein mutiger Schritt. Die Stiftung betreibt mit diesem
Projekt erstmals direkte Wirtschaftsförderung in Ostdeutschland
– ein Vorgehen, von dem die deutsche Architektenschaft
profitieren wird (und das der kleinen Schwester, der
Stiftung Baukultur, durchaus zur Nachahmung empfohlen
werden kann). Die Fördersumme ist allerdings eher symbolisch
zu verstehen, bedenkt man, was die Freunde der Großen
Pyramide dafür leisten müssen: 10 Monate lang, so steht es im
Antrag, sollen „mit einem städtebaulichen Wettbewerb, wissenschaftlichen
Studien, öffentlichen Diskussionen, Presseund
Marketingveranstaltungen die bautechnischen, wirtschaftlichen,
städteplanerischen und kulturellen Voraussetzungen
und Möglichkeiten der Pyramide geprüft und öffentlich diskutiert
werden.“
4 Eine Pressekonferenz in Sachsen-Anhalt abhalten
Die Standortfrage. Eine große waldfreie Fläche wird gesucht,
nicht weiter als 30 Kilometer von der Autobahn und 150 Kilometer
von einem internationalen Flughafen entfernt. Um die
biblischen Mengen an Zement und Kies transportieren zu können,
wird ein Binnenschifffahrtsweg benötigt. Die Wahl fällt
auf einen Acker in der Nähe des Dorfes Streetz, in der Nähe
von Dessau-Roßlau, Sachsen-Anhalt. Die erste Presseveranstaltung
am 11. Mai 2007 in der dortigen „Hummelstube“ verläuft
unbefriedigend: Die Bewohner verstehen nicht, worum es
geht. Eine Woche später schreiben die Pyramidenfreunde in
einem Offenen Brief an die Streetzer: Man wolle „… mit ihnen
gemeinsam darüber nachdenken, ob die Pyramide nicht ein
guter Ansatz wäre, sowohl die Misere einer Arbeitslosenquote
von über 20 Prozent als auch die oft nur geringen Arbeitseinkommen
in der Region zu verbessern. Mit all dem machen wir
uns sehr viel Arbeit, für die wir nur sehr wenig Geld erhalten.“
5 Einen Grundstein in Sachsen-Anhalt legen
Einige Monate später, im September 2007, schieben die Pyramidenfreunde
eine weitere Presseveranstaltung in Streetz
nach, mit Shuttle-Busverbindung aus Berlin-Mitte. Es gibt
Schlager und Informationen. Und eine Grundsteinlegung mit
fünf im Eilverfahren von einer Leipziger Firma gegossenen
Betonquadern. Die Streetzer demonstrieren erwartungsgemäß
am Rande und verhelfen den Pyramidenfreunden mit einem
Betttuch zu internationaler Aufmerksamkeit: „Wir wollen
keine 5 Millionen Tote in Streetz“, steht darauf zu lesen. Bis
heute ist ungeklärt, ob das Transparent wirklich von Dorfbewohnern
oder von den Organisatoren selbst erstellt wurde.
Ein Medien-Tsunami rollt an, mit Berichten im Internet, in
Tageszeitungen und Magazinen von Belgien bis Taiwan.
6 Eine Webseite ins Internet stellen
Marketinginstrument Nummer eins ist die englischsprachige
Webseite. Eine bunte Menüleiste mit Unterpunkten wie „A
Monument for All of Us“ und „Reserve your Stone“ verbreitet
zuversichtliche Heiterkeit. Die Kerninformationen sind in die
gängigen Handelssprachen Deutsch, Arabisch, Hindi, Japanisch
und sechs weitere Sprachen übersetzt. Die Rubrik „In
the Press“ quillt über vor Content.
7 Rem Koolhaas einladen
Man kennt sich. Bereits 2004 schrieben Rem und Ingo Seite an
Seite in der ersten Ausgabe der im Axel-Springer-Verlag erscheinenden
Zeitschrift „Der Freund“. 2006 führt Niermann
dann ein Koolhaas-Interview für „Die Welt-Online“, in dem er